Mehr Lebensqualität in der Stadt

Wie lassen sich Städtebau und Ökologie in Tornesch unter einen Hut bringen? Lohnt sich das überhaupt? In einer Stadt, der man ihre Geschichte als „Industriestandort mit Gleisanschluss“ immer noch anmerkt? Das war das Thema eines Gesprächsabends der SPD mit der Biologin Katrin Hoyer vom BUND Pinneberg.

Mehr Pantoffelgrün

Die Wirtschaft hat in Tornesch Priorität, ist ihr Eindruck. Hier wirkt möglicherweise die Geschichte nach, denn der Ort entstand erst nach dem Bau des Bahnhofs, in dessen Folge sich Fabriken und eine Brennerei ansiedelten. „Wirtschaft, Wohnen, Verkehr, demographischer Wandel – es gibt anscheinend kein übergreifendes Konzept, um diesen Herausforderungen zu begegnen“ sagt Hoyer, die selbst in Tornesch wohnt. Die Stadt sei laut. Gemütliches Flanieren sei kaum möglich, weil es überall Autos gebe. Es mangelt an Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Vor allem im Ortskern fehle „Pantoffelgrün“, so Hoyer. Solch fußläufig erreichbare Grünlagen erhöhen die Wohnqualität und fördern das Wohlbefinden derjenigen, die sich dort aufhalten.

Alte Bäume schützen

Eine wichtige Frage, die sich Tornesch stellen müsse, sei: Wo schaffen wir diese Grünräume? Wo gibt es z.B. alte Bäume, die erhalten sind. „Verbote helfen nicht“, warnte sie und sprach sich stattdessen für ein Baumschutzkataster aus, in das Eigentümer besonders schützenswerte Bäume eintragen lassen können. Im Gegenzug werden die Eigentümer der Bäume bei notwendigen Pflegemaßnahmen von der Stadt unterstützt. Ihr Plädoyer: „Große alte Bäume sind etwas Besonderes. Man kann sie nicht kaufen. Sie sind einzigartig.“ Wer sein Grundstück dafür zur Verfügung stelle, verdiene die Unterstützung der Allgemeinheit.

Konflikte im Grünen

Hoyer geht es wie vielen Bürger/innen der Stadt, die schon lange hier leben. Sie erkennen ihre Stadt nicht wieder. Das alte Tornesch verschwindet rasant, das neue wächst aus ihrer Sicht „viel zu schnell“. Das führe zu Spannungen. Zum Beispiel ist einer der großen Vorteile unserer Stadt, dass man von fast überall schnell im Grünen ist. Aber dieses „Grün“ wird landwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzt. Für die alten Einwohner/innen ist das selbstverständlich. Die Neuen hingegen betrachten die Agrarlandschaft als Naherholungsgebiet. So kommt es zu Konflikten, wenn beim Hundespaziergang plötzlich haushohe Trecker auftauchen, die die ganze Straße einnehmen.

Was braucht Tornesch?

Seniorenwohnungen: In Tornesch lebt fast jede/r so lange zu Hause wie möglich, auch wenn die Treppen kaum noch zu bewältigen sind. Das liegt auch daran, dass es an Alternativen für seniorengerechtes Wohnen mangelt. Niemand solle aus seinem Haus ausziehen müssen, aber jede Person, die es möchte, sollte es können, so Hoyer. Der Bedarf an neuen großen Wohnungen würde sinken, wenn die dann freiwerdenden Häuser für Familien zur Verfügung stünden.

Energiewende: Wer eine Solaranlage auf sein Dach bauen möchte, wird allein gelassen. In anderen Städten gebe es Solardachkataster. Dort könne jede/r sehen, ob sich eine Solaranlage auf dem Dach lohnen würde oder nicht. Niedrigschwellige Unterstützungs- und Beratungsangebote wären hilfreich, meint Hoyer.

Grüne Gewerbegebiete: Die Ausweisung von Gewerbegebieten steigert zwar die Steuereinnahmen, die Tornesch dringend braucht. Gleichzeitig werden aber Flächen neu versiegelt und stehen danach weder für die Landwirtschaft noch für die Artenvielfalt zur Verfügung. Umso notwendiger ist es, Gewerbegebiete so anzulegen, dass sie der Biodiversität möglichst wenig schaden. Dafür müssen die zum Ausgleich geschaffenen Biotope verbunden sein. „Ein Regenrückhaltebecken nützt Amphibien nicht, wenn sie wenige Meter weiter in den nächsten Gully fallen“, brachte Hoyer das Problem auf den Punkt.

Animal-Aided Design: Bei der Stadtplanung spielt die Förderung der Biodiversität bislang kaum eine Rolle. Dabei lassen sich neue Quartiere auch so gestalten, dass sie die Stadtnatur fördern – vom Igel, über die Fledermaus bis zum Zaunkönig. Beim Animal-Aided Design wird das Vorkommen von wildlebenden Tieren in den Planungsprozess einbezogen, sodass sie zu einem Bestandteil der Planung und der Gestaltung werden. Hoyer nannte als Beispiele Fassadenquartiere für Spatzen, Mauersegler oder Fledermäuse, Gründächer, Igelhäuser, Futter- und Nektarpflanzen sowie begrünte Fassaden.

Vielfalt auf dem Friedhof: Vielfalt im Stadtbereich zu fördern, ist gar nicht so schwer. Es müssen nicht immer Eisbegonien sein, die jedes Jahr neu gepflanzt werden müssen. Statt Rasen, der regelmäßig gemäht werden muss, können auf Beeten oder auf dem Friedhof auch Wildblumenwiesen blühen und insektenfreundliche Stauden wachsen.

Umgehen mit dem Klimawandel: Starkregen, Trockenheit und immer mehr tropische Nächte, darauf müssen wir uns einstellen, warnt Hoyer. Ein Konzept, wie Tornesch damit umgehen will, gibt es nur unzureichend. Bei neuen Baugebieten sollte das Modell der „Schwammstadt“ ins Auge gefasst werden, bei dem Regenwasser im Boden gespeichert wird, statt in die Kanalisation zu laufen. Der unterirdische „Schwamm“ würde das Wasser dann nach und nach, z.B. an unsere hitzegestressten Linden, wieder abgeben.

Wie lässt sich das alles umsetzen?

Man kann nur fördern und schützen, was man kennt und manchmal gibt es dort, wo man es am wenigsten vermutet, Interessantes zu entdecken. Die „wilden Schätze“, die Tornesch hat und bewahren sollte, würden Viele kaum bemerken. Fachkundige Führungen, Vorträge und andere Angebote könnten helfen, diesen Reichtum für Bürger sichtbar zu machen.

Das ist eine Anregung, die wir gerne aufgreifen. Schon zweimal – vor Corona – hat die SPD in Tornesch auf einer Radtour die biologische Vielfalt der Stadt erkundet. Der Zuspruch war riesig. Die Zeit ist bereit, damit wieder zu beginnen.