Wohin mit dem Radschnellweg?

Radschnellwege sind in Mode. In vielen Bundesländern werden sie aktuell geplant, mancherorts wurden erste Abschnitte bereits fertiggestellt. Auch in der Metropolregion Hamburg sollen Radschnellwege entstehen. Einer davon soll Tornesch mit Elmshorn und Hamburg verbinden.

„Radautobahn“, „Turbowege“ oder auch „Radler-Highway“ – das sind nur einige Synonyme, über die man unweigerlich stolpert, wenn es um Radschnellwege geht. Unsere Sprache bestimmt unser Denken – und in einer vom Auto dominierten Gesellschaft liegt der Vergleich zu einer Autobahn offenbar sehr nahe.

Dabei stellt die Assoziation mit einer Autobahn auch ein Problem dar. Denn niemand will direkt an einer Autobahn wohnen. Sie sind nicht nur laut und gefährlich, sie zerschneiden auch ohne Rücksicht auf Verluste die Landschaft und zerstören wichtige Ökosysteme – notfalls auch einen gesunden Mischwald.

Die Anfänge

Die Idee, Radfahrer*innen eine gut ausgebaute Infrastruktur bereitzustellen, die sowohl das Bedürfnis an Sicherheit, als auch an ein zügiges Vorankommen berücksichtigt, ist zumindest hierzulande relativ neu. Viel zu lange stand das Auto im Mittelpunkt aller Planungen und Investitionen und konnte so in den letzten 60 Jahren nicht nur den Rad- und Fuß-, sondern auch den ÖPNV- und Güterverkehr immer weiter verdrängen.

Einen echten Meilenstein stellt daher ohne Zweifel die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) von 1997 dar, die auch als Fahrrad-Novelle bekannt ist.

Abbildung: Dieses Schild markiert den Anfang eines Radschnellweges

Diese definierte nicht nur erstmals verbindliche Standards und Voraussetzungen für benutzungspflichtige Radwege, die bis heute von der Straßenverkehrsbehörde des Kreises Pinneberg weitgehend ignoriert werden. Sie führte mit der „Fahrradstraße“ auch ein wichtiges und kostengünstiges Infrastrukturelement ein, auf dem der Radverkehr gegenüber dem motorisierten Verkehr bevorrechtigt ist und diesen sogar ausschließen kann (siehe Infobox).

Während es in den Niederlanden, die neben Dänemark und Belgien zu den Pionieren im Bau von Radschnellverbindungen zählen, bereits in den 1980er-Jahren erste Bestrebungen gab, das Fahrrad auch auf längeren Strecken gegenüber dem Auto attraktiver zu machen, sollte es bei uns noch ein paar Jahrzehnte dauern. Erst seit etwa 2010 wurden derartige Überlegungen in Deutschland konkretisiert und erste Projekte angeschoben.

Mit der aktuell gültigen StVO-Novelle von 2020 wird nun – erstmals und sehr abstrakt – der Begriff „Radschnellweg“ in eine Rechtsverordnung aufgenommen. Den Anfang eines Radschnellweges markiert laut StVO – wenig überraschend – ein grünes Autobahnschild mit Fahrrad-Piktogramm.

Die Gegenwart

Mit dem Ziel, „insbesondere in urbanen Räumen und Metropolregionen einen Umstieg von Pendlerverkehren vom Kfz auf das Fahrrad zu erreichen und hierdurch sowohl die Luftreinhaltung und den Klimaschutz zu unterstützen, als auch Staus im Verkehrssystem zu vermeiden und den Verkehrsablauf insgesamt zu verflüssigen“, schloss das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die „Verwaltungsvereinbarung Radschnellwege 2017 – 2030“ über die finanzielle Förderung des Baus von Radschnellwegen.

Verbindliche Standards für den Bau von Radschnellwegen gibt es bisher nicht. Man kann aber davon ausgehen, dass die erst im Juli diesen Jahres von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) veröffentlichten „Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten“ Einzug in die Verwaltungsvorschriften und Regelwerke halten wird.

Die Verwaltungsvereinbarung des BMVI und die Hinweise der FGSV liefern schon jetzt einige Details darüber, wie ein Radschnellweg „in der Regel“ beschaffen sein soll.

Theorie und Praxis

Zunächst einmal sollen Radschnellwege durch ihre Bauweise eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von mindestens 20 Stundenkilometern erlauben. Ermöglicht werden soll dies durch eine konsequente Trennung von anderen Verkehrsarten, eine möglichst direkte Linienführung und minimale Zeitverluste an Knotenpunkten. Denn die vergleichsweise hohe Geschwindigkeit soll nicht durch extreme Spitzengeschwindigkeiten erreicht werden, sondern durch flüssiges und möglichst unterbrechungsfreies Fahren.

Auch das gefahrlose Überholen spielt eine wichtige Rolle. Die Breite eines Radschnellweges soll so dimensioniert sein, dass zwei Fahrräder nebeneinander fahren und gleichzeitig überholt werden können. Dadurch ergeben sich Breiten von drei Metern bei Einrichtungsradwegen und von vier Metern bei Zweirichtungsradwegen. Zum Vergleich: Der Radweg an der L110 in Richtung Autobahn hat fast durchgängig eine Breite von nur zwei Metern.

Außerdem soll die Trassenführung möglichst direkte Verbindungen zwischen wesentlichen Quell- und Zielbereichen mit einer hohen Radverkehrsnachfrage herstellen. Das sind neben Wohngebieten auch ÖPNV-Knotenpunkte wie Bahnhöfe oder S-Bahn-Haltestellen. Das Zauberwort heißt hier „Intermodalität“, d.h. die Kombination verschiedener Verkehrsmittel soll ermöglicht werden.

So viel zur Theorie, denn gerade in dichter besiedelten Gebieten steht nur selten genug Platz für eigenständig geführte Radwege oder breite Querschnitte für straßenbegleitende Radwege zur Verfügung.

So lässt sich vielleicht auch erklären, dass von dem gut 100 Kilometer langen „Radschnellweg Ruhr“ (RS1), der sich seit 2010 in Planung befindet und Duisburg mit Hamm verbinden soll, bisher nur ein 15 Kilometer langes Teilstück fertiggestellt wurde. Dieses verläuft auf einer ehemaligen Bahntrasse und entspricht hinsichtlich des Querschnitts tatsächlich den Anforderungen an einen Radschnellweg.

Auch die gut vier Kilometer lange „Veloroute 10“, die in unserer Landeshauptstadt die Universität mit dem Stadtteil Hassee verbindet, hat es einer stillgelegten Bahntrasse zu verdanken, dass sie trotz Innenstadtlage durchgängig über eine vier Meter breite Fahrbahn verfügt und nur zweimal den Autoverkehr kreuzt.

In der Praxis bedeutet das, dass Planer „in der Regel“ auf vorhandene Infrastruktur zurückgreifen müssen. Ein Radschnellweg ist dann eine Aneinanderreihung von Bordsteinradwegen, Schutz- und Radfahrstreifen, autoarmen Nebenstraßen, Tempo-30-Zonen und Fahrradstraßen – dazwischen natürlich auch Abschnitte, die den Ansprüchen genügen.

Der Radschnellweg Elmshorn – Hamburg

Auch der Radschnellweg von Elmshorn nach Hamburg wird nicht auf einer grünen Wiese geplant. Die Ende Mai von der Metropolregion Hamburg vorgestellte Vorzugstrasse orientiert sich sehr stark an der vorhandenen Infrastruktur und enthält somit überwiegend Wege, die auch heute schon vom Radverkehr stark frequentiert werden.

Abbildung: Vorzugstrasse zwischen Elmshorn und Prisdorf (rot), optimierte Führungen entlang der Bahntrasse (blau, grün, orange) – Quelle: OpenStreetMap

Von Elmshorn kommend verläuft die Route auf der Heimstättenstraße bzw. auf der Wilhelmstraße. Ein Mittelstreifen soll dazu führen, dass Überholvorgänge des Kraftfahrzeugverkehrs mit mehr Abstand erfolgen und knappe, für den Radverkehr extrem bedrohliche Überholmanöver ausbleiben. Der Durchgangsverkehr – so regen es die Planer an – sollte dringend reduziert werden.

Dann kreuzt die Route die Ahrenloher Straße und führt weiter in den Lindenweg. Dieser Teil der Trassenführung über die vielbefahrene Ahrenloher Straße dürfte am herausforderndsten sein.

Die Trasse führt dann über eine abknickende Vorfahrt weiter in den Gärtnerweg. Bis hier hin sollen ausschließlich Fahrradstraßen zum Einsatz kommen.

Im Gärtnerweg trifft die Route schließlich auf den Bahnübergang und wird über den Bockhorn auf die L107 in Richtung Prisdorf geführt. Diesen Teil der Trassenführung sehen wir als SPD sehr kritisch. Ab hier existiert gar kein Radweg mehr, dort wo die Fahrbahn breit genug wäre, wurde zu Gunsten von parkenden Autos auf einen Schutzstreifen verzichtet und im weiteren Verlauf der L107 ist die Fahrbahn so schmal, dass es regelmäßig zu Konflikten mit dem Kraftfahrzeugverkehr kommt – obwohl Radfahrer*innen hier die Straße befahren dürfen, werden sie beschimpft und angehupt.

Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung, an der wir uns rege beteiligt haben, sind diese Einwände aber thematisiert worden. Die Planer schlagen in ihrer Machbarkeitsstudie Optimierungen vor, die sich am geplanten Bau eines dritten und vierten Gleises zwischen Pinneberg und Elmshorn ausrichten müssten und daher eher mittelfristig umgesetzt werden könnten:

Kreuzung Ahrenloher Straße (blau): Hier schlagen die Planer vor, den Fahrradverkehr über die Norderstraße und die Pommernstraße entlang der Bahntrasse über eine neu zu errichtende Brücke über die Ahrenloher Straße zu führen. Das hätte wesentlich kürzere Wartezeiten für den Radverkehr zur Folge, der dadurch die Ahrenloher Straße nicht mehr plangleich kreuzen müsste.

Fahrradtrasse ab Gärtnerweg (orange): Noch vor dem Bahnübergang im Gärtnerweg könnte der Radweg an der Bahntrasse entlang geführt werden. Hier bestünde dann die Möglichkeit, einen „echten“ Radschnellweg mit einer Breite von vier Metern herzustellen, der die L107 fast komplett meidet.

Führung komplett an der Bahntrasse (grün): Bei der Planung des dritten und vierten Gleises könnte im Idealfall auch Platz für eine Fahrradtrasse eingeplant werden. So könnte der Fahrradverkehr ab der Norderstraße komplett auf einem eigenständigen Radweg geführt werden.

Der Spatz in der Hand

Der Radschnellweg, auch wenn er überwiegend auf vorhandene Infrastruktur aufsetzt, ist ein erster Schritt hin zu weniger Verkehr und besserer Mobilität. Auch wenn die aktuell eher kurzfristig umzusetzende Vorzugstrasse nicht der Weisheit letzter Schluss ist, so ist sie dennoch eine gute Basis für den weiteren Ausbau und bringt punktuelle Verbesserungen.

Zu nennen sind da beispielsweise die Einrichtung von Fahrradstraßen im Lindenweg und Gärtnerweg, die zu einer erhöhten Sicherheit für Radfahrer*innen führen. Die Aufpflasterung der Kreuzung Baumschulenweg/Lindenweg, die besonders für Schulkinder die Querung des Lindenweges auf dem Weg zur Schule sicherer macht, wäre ebenso eine Maßnahme wie die Sanierung von Straßendecken, für die uns als Stadt oft die Mittel fehlen.

Es gibt zahlreiche Beispiele, die belegen, dass eine attraktive Fahrradinfrastruktur zu weniger Autos führt. Daher müssen wir alles dafür tun, damit Tornesch zu einer fahrradfreundlichen Stadt wird.

Natürlich ist das Fahrrad nicht die Lösung für alle unsere Verkehrsprobleme. Aber eine Lösung ohne das Fahrrad gibt es nicht.

Info: Fahrradstraße

Abbildung: Beschilderung einer Fahrradstraße

Eine Fahrradstraße ist eine ausschließlich für den Radverkehr vorgesehene Straße. Durch Zusatzschilder kann aber Kraftfahrzeugverkehr für Anwohner, Anlieger oder pauschal zugelassen werden – man spricht dann von einer „unechten“ Fahrradstraße.

In einer Fahrradstraße gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und Radfahrer*innen dürfen auch dann nebeneinander fahren, wenn der motorisierte Verkehr dadurch nicht überholen kann. Ihnen steht die gesamte Fahrbahnbreite zur Verfügung.

Sofern nicht anders angeordnet gilt in Fahrradstraßen rechts vor links und es darf geparkt werden, wo dies nicht explizit verboten ist.

Aus Unser Tornesch, I / 2021