Das Auto – das goldene Kalb

Jetzt ist es offiziell: Der Kreis Pinneberg ist vor dem Protest einer Handvoll Anwohner*innen und Gewerbetreibender in der Esinger Straße eingeknickt und hat die Anordnung des Fahrrad-Schutzstreifens entlang der L107 wieder aufgehoben. Der Kreis stärkt damit eine rückwärtsgewandte Verkehrspolitik, die das Auto über alle anderen Interessen stellt.

Neue Umstände sollen zur Kehrtwende geführt haben

Nach einem laut Kreis „aufwändigen Abstimmungsprozess“ unter Einbeziehung der Stadt Tornesch, des Amtes Pinnau, des Landesbetriebes Straßenbau und Verkehr S-H (LBV), der Polizeidirektion Bad Segeberg und des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) wurde im September 2020 angekündigt, dass „zwischen der Einmündung Hasweg und dem Pinnauring beiderseits ein Rad-Schutzstreifen aufgebracht“ werden sollte.

Damals kann den Beteiligten nicht entgangen sein, dass Anwohner*innen und Gewerbebetriebe die Fahrbahn der Esinger Straße zum Parken nutzen. Welche neuen „Umstände“ sollen also zu einer Neubewertung geführt haben?

Sicherheit doch nicht so wichtig

Der Kreis hat die Anordnung des Schutzstreifens entlang der Esinger Straße noch im September mit einem Plus an Sicherheit für Radfahrer*innen begründet.

Es reiche […] nicht aus, nur die blauen Verkehrszeichen […] abzubauen und die Rad Fahrenden auf die Straße zu verweisen. Vielmehr sei es das erklärte Ziel gewesen, insbesondere für die Rad Fahrenden effektive Regelungen zu schaffen, die auf der recht stark frequentierten Straße eine möglichst hohe Sicherheit gewährleisten sollen.

Pressemitteilung des Kreises Pinneberg, 02.09.2020

Gegenüber den Uetersener Nachrichten wies der Kreis noch im Dezember darauf hin, dass es kein Recht auf privates oder gewerbliches Parken auf öffentlichen Straßen gebe.

Doch plötzlich spielt das alles keine Rolle mehr. Der Schutzstreifen muss dem Bedarf an privaten und gewerblichen Parkplätzen weichen. Radfahrer*innen, denen es auf der Straße zu gefährlich ist, sollen halt auf dem Gehweg fahren – jetzt allerdings nur noch in Schrittgeschwindigkeit. Das ist purer Zynismus und stellt de facto eine Verschlechterung für fast alle Radfahrer*innen dar.

Aber auch für Fußgänger*innen stellt die eigentlich sehr erfreuliche Zunahme des Fahrradverkehrs ein immer größeres Problem dar. Denn wenn nur die mutigsten und fittesten Radfahrer*innen die Straße nutzen, wird es immer enger auf dem Gehweg, und somit werden in Zukunft immer häufiger Konfliktsituationen entstehen.

Genug Platz wäre da, dieser wird aber auf der breiten Fahrbahn für parkende Autos verschwendet.

Kreis soll seine Arbeit machen

Besonders irritierend ist der Versuch des Kreises, den Verzicht auf den Schutzstreifen mit dem Parkdruck und der Vermutung, dass in den Nebenstraßen rechtswidrig geparkt werden könnte, zu begründen. Als zuständige Straßenverkehrsbehörde ist der Kreis für die Ausführung und die Überwachung der Straßenverkehrsordnung zuständig – dazu gehört auch die Ahndung von Parkverstößen. Zu seinen Aufgaben gehört es nicht, für ausreichenden kostenlosen Parkraum auf den Straßen zu sorgen – dafür gibt es weder eine rechtliche Grundlage, noch einen Auftrag.

Das kann also nicht ernsthaft als Grund gegen den Schutzstreifen angeführt werden – und schon gar nicht von einer Behörde, die geltendes Recht umzusetzen hat.

Ein immenser Schaden

Während überall von der dringenden Notwendigkeit einer Verkehrswende die Rede ist, die ein zentraler Baustein für mehr Klimaschutz ist, ticken die Uhren im Kreis Pinneberg anders.

Einig sind sich zwar alle, dass die Attraktivität des Fahrrads als Alternative zum motorisierten Individualverkehr gesteigert werden soll – zumindest in Sonntagsreden und öffentlichen Bekundungen.

Doch während die SPD Tornesch davon überzeugt ist, dass dazu auch eine gerechtere Verteilung des vorhandenen Raumes nötig ist, sehen das andere Akteure offensichtlich anders. Deren anachronistisches, ideologisch geprägtes Weltbild hat nun vom Kreis ein staatliches Gütesiegel bekommen.

Mit seinem rückgratlosen Einknicken sendet der Kreis ein eindeutiges Zeichen an alle, die sich seit Jahren in Parteien oder Vereinen für eine Stärkung des Radverkehrs einsetzen: Gegen den Willen einer Handvoll aufgebrachter Autofahrer*innen wird es im Kreis Pinneberg keine einzige Verbesserung für den Rad- oder Fußgängerverkehr geben.

Die Verkehrswende muss wohl ohne uns stattfinden und der Klimawandel möge sich bitte noch etwas gedulden. Die Uhren der Kreisverwaltung Pinneberg sind leider vor 30 Jahren stehengeblieben.

Der tornescher Schutzstreifen – ein Nachruf

Das Thema „Schutzstreifen an der Esinger Straße“ ist nicht neu: Bereits im März 2017 wurde diese Maßnahme in den Verkehrsentwicklungsplan der Stadt Tornesch aufgenommen, der seiner Zeit einstimmig beschlossen wurde.
Die Maßnahme drohte schon in Vergessenheit zu geraten, als die SPD Tornesch im November 2019 das Thema Schutzstreifen wieder auf die Agenda des Umweltausschusses setzte. Auch mit Stimmen der CDU wurde die Verwaltung beauftragt, die Machbarkeit sowie die Kosten eines Schutzstreifens zu prüfen.
Eine Zeit lang passierte dann wieder nichts, doch plötzlich kam Bewegung in die Angelegenheit. Eine tornescher Bürgerin legte Widerspruch gegen die Radwegebenutzungspflicht entlang der L107 beim Kreis ein. Diesem musste der Kreis stattgeben, da der ehemalige Radweg nicht den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung entsprach und seine Anordnung damit rechtlich unzulässig war. Seitdem ist der Weg ein Gehweg, auf dem Radfahrer*innen nur noch geduldet sind.
Neben der Umwidmung zu einem Gehweg ordnete der Kreis – unabhängig vom SPD-Antrag – auch einen Schutzstreifen in der Esinger Straße an. Damit waren sowohl die Frage nach der Machbarkeit, als auch die Kosten geklärt: Die Maßnahme hätte die Stadt nichts gekostet.
Da durch den Schutzstreifen – und das damit verbundene Halte- und Parkverbot – gerieten Parkmöglichkeiten in Gefahr, und es regte sich Widerstand unter den Anlieger*innen. Dieser führte letzten Endes dazu, dass sich zwei tornescher Fraktionen sofort von dieser Maßnahme distanzierten und der Kreis schließlich einknickte.